Jazzpodium
"A Linear Thought" / "AB+"
Thorsten Meyer, 2018

Auch die Jazz- und jazznahen Gruppen und Labels suchen eine Antwort auf den Abgesang auf die CD und einen Gegenpol zur Streaming-Seuche, entdecken die alten Tonträgermedien wieder für sich. Kein Trend, sondern Überzeugung treibt die Macher von Wide Ear Records an. Von Beginn an setzte das Schweizer Label auch auf Vinyl. Mitinitiator Tobias Meier ging mit seinen Veröffentlichungen einen konsequenten Weg: Kurzpräsentation wichtiger Projekte und Besetzungen auf 10-inch-EPs, und jetzt auf 7-inch-Single und der guten alten Musikkassette, und für unterwegs gibts den Download gratis dazu.
Meiers Duo Cold Voodoo mit dem Kontrabassisten Silvan Jeger bietet auf «AB+» zwei um die 15-minütige Jams, bei denen Meier auf der A-Seite über quirligen, verquerten Basslinien in Endlosschleifen seine Saxophonlinien spannt. Auf der B-Seite wird über einem perkussiven und geräuschgetränkten Bassfundament in einem Dauerfeuer Arpeggien, Sounds und allerlei Sonderbares aus dem Saxophon gegossen.
Die fünf Teile der nru knapp siebenminütigen, auf die beiden Singleseiten verteilten, Kompostion «A Linear Thought» wirft ein Blitzlicht auf Meiers Zusammenarbeit mit der Vokalistin Dalia Donadio und dem Texter Berni Doessegger. Von Summen und Zischen zu knapp an der Grenze des Obertongesang schwebenden Sounds, entwickelt sich, was Doessegger als «ein Hallraum, ein Körper aus Zeit und Raum, eine Resonanz, die sie in sich legt» beschreibt: eine Stimme. Es entstehen Voicings durch filigrane Überlagerungen, sphärische, artifizielle Sci-Fi-Chor-Cluster bevor glasklar gehauchte Einzeltonfolgen die Klangexkursion beenden.
Tobias Meier findet mit diesen beiden Veröffentlichungen auch eine Antwort auf das Dilemma heutiger Improvisationsproduktionen: keine ellenlangen (und teuren) Konzeptproduktionen, sondern Konzentration auf den Kern der kreativen Aussage. Und dies dann verbunden mit (siehe oben) haptischem Erlebnis und Verknappung (viele Veröffentlichungen sind limitierte (Kleinst)Editionen). Also: Das alte Tapedeck und der Plattenspieler stehen doch bestimmt noch irgendwo.

Thorsten Meyer