Jazz'n'more
"ORION"

 

Das Musikerlebnis ist ein flüchtiges und jederzeit einmaliges. Umso mehr dort, wo weder Melodien, Riffs oder prägnante Licks einen Anker für Wiedererkennen oder Erinnerungserlebnisse bieten. Musik als eine offene Landkarte an der Grenze von innen und aussen, in der nichts eine Richtung anzeigt oder einen Klang verortet, solange nicht ein hörendes Ohr daran mitarbeitet. In diesen Raum führt uns das neue Album des Zürcher Quintetts Im Wald, begleitet von einem aufwendigen Artwork mit Inlay und inspirierenden Liner Notes (Berni Doessegger). Zwei lange Tracks und ein kurzes "Intro", das man nachträglich wie ein Konzentrat der beiden Kompositionen "Nebulae" und "Orion" hören kann, ergeben ein Raumpaket von 33 Minuten Zeit, in der Sender und Empfänger musikalisch miteinander Fühlung aufnehmen. Es ist eine flächige Musik mit ruhigen Texturen und untergründig mitvibrierenden Unruheherden. Drei Streicher und zwei Bläser sirren sich zu geräuschhaften Texturen, lang anhaltenden Tönen und Bündeln von faszinierenden Zusammenklängen, die auf "Orion" noch etwas harscher ausfallen. Das Album kann man als ein Stück Kunst rezipieren, als Wahrnehmungsspiegel betrachten, als philosophisches Futter begreifen. Aber es ist vor allem ein sorgältig und konsequent angerichtetes Klangereignis, das nicht nur mit strenger Aufmerksamkeit fokussiert werden muss, sondern auch im Beiläufigen des Alltags über mittelmässige Lautsprecher die Wahrnehmung öffnet.

Pirmin Bossart